Alle Kinder lernen lesen
Interview mit der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von MENTOR - die Leselernhelfer Hannover e. V.: Christiane Eisenhauer
„Lesen ist ein grenzenloses Abenteuer der Kindheit“ - Astrid Lindgren
Lesen heißt, an der Welt teilzunehmen. Lesen ist ein Recht für alle. Und so sollte es auch gefördert werden, doch immer mehr Kinder bleiben heutzutage auf der Strecke und die Lesekompetenz sinkt. Die IGLU-Studie zeigt einen bestürzenden Trend, dass seit 2006 die Lesekompetenz immer weiter sinkt.
Es gibt also viel Arbeit für die Schulen. Doch es gibt glücklicherweise auch viele Menschen, außerhalb des Schulsystems, die helfen wollen. Dort mitzuhelfen, hat sich MENTOR - die Leselernhelfer Hannover e. V. zur Aufgabe gemacht. Seit über 20 Jahren besteht der Verein in Hannover, der Kinder beim Lesenlernen unterstützt. Freiwillige Helfer engagieren sich wöchentlich, indem sie sich mit den Kindern zusammensetzen und eine Lesehilfe bieten.
In einem Gespräch mit der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von MENTOR - die Leselernhelfer e. V. Christiane Eisenhauer habe ich sie zu ihrer Arbeit bei MENTOR und ihrer eigenen Leselust befragt.
In Ihrem Lebenslauf lässt sich eine Affinität für Bücher herauslesen: Studium für Bibliothekswissenschaften, Arbeit in der Bibliothek an der MHH und die Freiwilligenarbeit bei MENTOR - die Leselernhelfer e. V.
Hat sich diese Leselust bereits in Ihrer Kindheit abgezeichnet?
Ja, das kommt aus unserer Familie. Es gab damals in den 50ern noch keinen Fernseher, wir haben abends in der Familie zusammengesessen und mein Vater hat vorgelesen. Sobald ich selber lesen konnte, mit sieben sicherlich, da habe ich dann gerne Märchen gelesen. Schneekönigin ist mein präferiertes Märchen. Und so ist das einfach geblieben. Ich war ein sehr schüchternes Kind und habe durch die Fantasiewelt, die sich mir da erschloss, mich da sozusagen immer gerne hineinversetzt, weil das eine ganz andere Welt war als die reale Welt.
Sie hatten also schon früh viel Unterstützung von zu Hause, wie sah das denn in Ihrer Schulzeit aus?
Ja, Sie dürfen nicht vergessen, ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo sehr streng und sehr gezielt darauf hingearbeitet wurde, dass man flüssig lesen konnte und in kurzer Zeit die Sprache beherrscht. Das ist ja ganz anders heute. Also insofern bin ich da eben ganz anders mit aufgewachsen.
Heutzutage sinkt die Lesekompetenz leider stetig, so ist es gut, dass es Vereine wie MENTOR - die Leselernhelfer e. V. gibt, die da helfen und dem entgegenwirken wollen. Seit wann sind Sie denn bei MENTOR tätig?
Ich kenne MENTOR seit 2010, und zwar hat eine Freundin von mir da angefangen. Ich bin 2009 pensioniert worden und habe ein halbes Jahr nichts gemacht und nach diesem halben Jahr war mir langweilig. Da habe ich meine Freundin gefragt: „Du machst doch da irgendwas mit Lesen, kann ich das auch machen?” So bin ich zu MENTOR gekommen und habe in verschiedenen Schulen Kinder betreut. Und das Ganze ist sehr erfolgreich, wir sind inzwischen an 190 Schulen. Das ist schon mal eine Hausnummer und wir haben 1500 Mentoren allein hier in Hannover und Umfeld. Tja, und dann bin ich so ein bisschen in die Organisation geraten, sozusagen. Wir haben ein Koordinatoren-System und wie das so ist, wenn man ganz gut in solchen Dingen ist, dann gibt es immer noch was drauf. So bin ich also zur Koordinatorin geworden. Ich habe inzwischen zwölf Schulen. Ich bin Leiterin aller Koordinatoren und Otto Stender, der damalige Vereinsvorsitzende, hatte, weil wir uns ganz gut verstanden, mich in den Vorstand geholt. Ich bin also seit zehn Jahren im Vorstand, seit zehn Jahren zweite Vorsitzender. Ja, es macht mir sehr, sehr viel Spaß.
Das heißt, Sie arbeiten zurzeit nicht als Mentorin?
Nein, als Mentorin arbeite ich im Moment nicht. Das wird mir echt zu viel. Ja, diese Verwaltungsarbeit nimmt natürlich doch einen gewissen Anteil an Zeit in Anspruch. Ich finde es aber auch wichtig, weil dadurch das ganze Konstrukt zusammenhält und sich formt. Insofern bin ich also im Moment nicht als Mentorin tätig.
Vermissen Sie die Mentoren-Arbeit?
Nein, nicht so wirklich, weil ich dadurch, dass ich als Koordinatorin viel in Schulen bin, höre ich sowohl von den Mentoren als auch von den Lehrern, wie unser Ehrenamt wirkt. (Pause) Und ich erzähle Ihnen eine kurze Geschichte: Wir waren vor 14 Tagen auf einem Stadtteilfest in Bothfeld, die haben 750 Jahre gefeiert, und da hatten wir einen Stand. Da kam ein Junge auf mich zu und sagte: „Ich wollte mich mal bei Ihnen bedanken.“ Der war so 10 oder 11 und sagte: „Ich habe nämlich eine Mentorin. Kennen Sie die?“ Dann nannte er den Namen und zufällig kannte ich die auch. Und dann sagt er: „Das finde ich toll, dass sie das machen. Und ich lerne so viel von ihr. Und ich freue mich jede Woche auf sie, wenn sie kommt.“ Ach, mehr können Sie nicht erwarten. Von den Lehrern hören wir eben, dass diese Sicherheit im selber lesen und sich ausdrücken, für die Kinder sehr wichtig ist, weil sie damit auch ein gewisses Selbstbewusstsein erreichen. Es ist nicht unbedingt die Zensur, die sich verbessert. Dennoch ist es wichtig, dass die Kinder Selbstvertrauen kriegen, dadurch, dass sie die Sprache besser verstehen und wiedergeben können.
Wenn Sie sich an Ihre Arbeit mit den Kindern zurückerinnern, was würden Sie als größte Herausforderung an der Arbeit ansehen?
Das ist, die Kinder zur Konzentration zu bewegen. Sie dazu zu motivieren, dass es ihnen hilft. Wir betonen ja immer wieder, dass wir keine Nachhilfe machen, sondern wir machen Förderung. Und wir merken eben immer wieder, dass die Kinder es genießen, dass ein etwas älterer Mensch einfach Zeit mit ihnen verbringt und sie den zu quatschen können bis zum Geht-nicht-mehr. Das ist auch etwas, was die Kinder natürlich dann stärkt in ihrem Selbstvertrauen.
Gab es Situationen, in denen sich ein Kind gar nicht motivieren konnte?
Es ist sehr selten, aber es kommt vor. Und dann haben wir uns als Verein entschieden, da keinen Druck auszuüben. Denn das bringt weder für die ehrenamtlich Tätigen noch für die Kinder etwas. Ja, wenn ein Kind also wirklich sagt: „Nee, das ist mir zu doof und ich will das nicht.“ Dann beenden wir das. Es gibt genügend andere Kinder, die sich darauf freuen. Aber es ist, wie gesagt, eher selten.
Was steht denn als Nächstes für MENTOR - die Leselernhelfer e. V. an, was für Wünsche und Pläne haben Sie für den Verein?
Also wir wünschen uns, dass wir mehr Reklame machen können. Nur sind unsere finanziellen Mittel eingeschränkt als eingetragener Verein. Unsere beiden Chefs, also der erste Präsident und der Schatzmeister, haben sich an eine Hochschule gewandt, die Werbetechnik macht. Da gab es ein Projekt, wo die Studenten sich überlegen sollten, wie man so einen Verein sichtbar macht. Die haben zum Beispiel angeregt, dass wir einen Anhänger mit unseren Logos bekleben. Den kann man anfordern und dann wird er in die einzelnen Stadtteile gestellt. Dann haben die auch angeregt, dass ein Banner mit unserem Logo und ein paar Informationen in und an Schulen hängt. Also ich nenne das immer Sichtbarmachung, dass man einfach weiter im Blickpunkt ist und dadurch eben immer in Erinnerung bleibt.
Ja, was wir jetzt auch begrüßen ist, dass durch die Pandemie viele Homeoffice machen. Das wurde jetzt oft beibehalten und so können wir auch Jüngere rekrutieren, die dann eben mal so eine Stunde in die Schule gehen können. So kommen wir ein bisschen von diesem Seniorenblick runter. Aber mit vielen Berufstätigkeit kann man das eben nicht vereinbaren, weil wir dafür morgens in die Schule müssen.
Und wie sieht Ihre persönliche Zukunft bei MENTOR - die Leselernhelfer e. V. aus? Sehen Sie sich in Zukunft auch immer weiter bei MENTOR?
Immer. Also ich glaube, das wird noch etliche Jahre so weitergehen.
Mehr Informationen zu MENTOR - die Leselernhelfer e. V. erfahren Sie hier:
https://www.mentor-hannover.de/
Wer sich nicht für Lesen lernen interessiert, sondern auch Deutsch lernen kann hier mehr erfahren: